Ich hatte von Japan vorher schon so viel gelesen, denn kein Buch über Tee lässt aussagekräftige Details über Japan aus, sodass ich gedanklich schon oft „da gewesen“ bin. Ich habe auch schon vorher viele Länder Asiens bereist und viele Japanstämmige kennengelernt. Das Ganze mündete in eine leicht überhebliche Grundhaltung und dass man mich nicht mehr überraschen könne - Ich werde mich irren, sehr sogar!
Um genau zu sein beginnt meine Reise bereits zwei Jahre vorher. Jeden Chinabesuch beginne ich in Peking, im Mohiki, der ersten Whiskey Cocktail Bar meines Freundes Moto San. Moto habe ich 2007 während meiner Peking Unizeit kennengelernt, der nach eigentlich erfolgreicher Juristenkarriere in Tokyo, sich dort sein eigenes Exil eingerichtet hatte, um vor seiner „Japanese-Tradition“ zu Hause zu fliehen. Das ist aber eine andere Geschichte. In den unzähligen Chinabesuchen nach unserem Studium ist unser halbjährlicher Schnack zum Informations-Hub geworden. Moto hat inzwischen sechs eigene Bars und Restaurants und dutzende Beteiligungen in ganz China am laufen und kennt sich demnach in der Branche gut aus. Diesen Abend 2015 fragte ich Ihn, ob er Jemanden in Japan im tiefen Bezug zu Tee stehend kennen würde. Im selben Jahr, drei Monate später, stellte er mir Noriko vor. Eine Schulfreundin aus Grundschulzeiten. Noriko lebt halb in Peking und halb in Shanghai und ist im Auftrag Japanischer Tees in China unterwegs. Ihre Familie betreibt seit mehreren Generationen in Shizuoka, 200 km Südlich von Tokyo, Teeanbau in erster Güte auf traditionelle Weise - ein absoluter Jackpot für mich.
Wir verabredeten uns für einen gemeinsamen Besuch auf der Plantage in Japan. Dieser sollte allerdings erst zwei Jahre später stattfinden, denn mein Wunsch war es zu Beginn der Erntezeit vor Ort zu sein, um das Handwerk zu erleben und die Szenerien zu dokumentieren. Dieses Jahr, wir schreiben 2017, ist es endlich soweit. Wir hatten uns im April bei Moto San getroffen und ich bekam neben Terminansagen noch ein paar Japanknigges mitgeteilt, sehr wichtig und furchtbar spannend!
Sie würde mich eines Morgens an einem traditionellen Japanischem Badehaus irgendwo in den Bergen von Shizuoka abholen. Bis dahin müsse ich es selber „schaffen“! Gleich am Flughafen von Tokyo angekommen stehe ich vor der sprachlichen Herausforderung, die mich nun eine Woche begleiten sollte und ich sehr unterschätzt hatte. Reine Verständigungsdifferenzen sind das eine, was mich aber noch viel mehr tangiert: Mein Japanisches Aussehen! Ich bemerke schnell, dass ich bei englischer Ansprache für die Extraportion Irritation sorge, weil man das von mir dem Anschein nach nicht erwartet. Viele Menschen ergreifen „höflich“ und besonders schnell die Flucht vor mir - die nächsten Tage werden super! Viele Stunden später und viele Erkenntnisse reicher, komm ich im mit Abstand saubersten, teuersten und besten Mehrbettzimmer dieser Welt an und was das angeht lehne ich mich gerne aus dem Fenster!
Ich lasse mir mein Berghotel von Noriko buchen, klappte sprachlich leider ganz und garnicht, und bekomme die leider komplexe Wegbeschreibung detaillierter und mit Japanischen Schriftzeichen. Nachdem ich dann einen wunderbaren Tag auf dem eindrucksvollsten Markt Tokyos verbrachte ging es dann zunächst in die Metro, weiter in den Bullit-Train, in die Regionalbahn bis ich vor einer winzigen alpinen Bergbahn Baujahr 1965 Platz nahm. Die Fahrt in einer alten Juckelbahn durch die cineastischen Landschaften Japans ist natürlich sehr eindrucksvoll, was mich allerdings noch viel mehr beeindruckt sind die Menschen ausserhalb von Tokyo. Der Demographische Wandel und die Landflucht ist überall zu sehen sobald man aus der Metropolregion aussteigt. Ab einen gewissen Punkt begegnen mir nur noch Menschen der Generation 60+, wenn überhaupt. Es stehen viele Felder brach und viele wunderschöne alte Holzhäuser alter Bauart leer. Am nächsten Morgen holt mich Noriko am Badehaus wie vereinbart ab, wir fahren über alte aber sehr saubere Serpentinen weiter in die Höhe. In einem Dorf angekommen fühlt man sich wie in einem Klischee, es ist irre schön, still und friedlich, wobei im Bild die Bewohner des Dorfes fehlen. Der Onkel Norikos gehört mit 70 Jahren noch zu den jungen Menschen des ca. 100 Personen Dorfes, jedes dritte Haus ist leer, ebenso die Felder. Die Jüngste ist mit knapp über 50 die Pflegekraft der Nachbarn. Ich habe dann doch gemischte Gefühle bei der Beurteilung der Lage.
Die nächsten Tage verbringe ich mit den alten Herren auf den noch „aktiven“ Feldern, es wird maschinell geerntet und es geht Hauptsächlich um „maskulinen“ Sencha im Asamushi-Verfahren. Die Arbeit ist mangels Mitarbeiter schwer. Im Nachbardorf wird der frische Tee dann eine Stufe weiter verarbeitet, um dann nochmal in der Stadt im Tal seinen Feinschliff und ein Asamushi-Fukamushi Blending zu bekommen. Erst ab dann ist er vorzeigbar. Alle Schritte werden mit einer fast ehrfürchtigen Stille und Geschwindigkeit durchgeführt. Den alten Herren bei der Arbeit (und Flüstern) zuzuschauen ist magisch.
Mit der selben Ehrfurcht begegne ich der Gesamtverkostung der Erntewoche. Im nachhinein entscheiden wir uns für einen 50/50 Asamushi/Fukamushi Sencha und den selbigen als Premium Genmaicha. Zur Verwunderung bekommen wir den Tee erst drei Monate später angeliefert. Nach mehrfacher Anfrage, bzw. Bitten bekommen wir nur ein drittel der von uns Eingangs bestellten Menge und werden damit vertröstet, dass Stammkunden des Hauses erst beliefert werden. Wir müssen uns hinten anstellen. Die Monate des Wartens waren leidig, aber trotzdem gibt es mir die Gewissheit, dass das genau so sein soll. Ich habe auf diesen sieben Tagen viel für mich gewinnen können und Begriffe für mich neu definiert. Um ein paar Beispiele zu nennen: Genussfokus! - Der Leckerste Ort der Erde ist Tokyo. Ich habe mehrmals vor Foodie-Glück weinen müssen. Höflichkeit, Erfurcht! - vor Mensch, Natur und Ritualien.
Ich freue mich schon sehr auf meine nächste Tour. Noriko kündigte bereits an, dass die Familie einer gute Freundin am Südzipfel Japans Tees mit „femininen“ Charakter kultiviert.
Stephan
Wir haben euch diese Tees von unserer Reise mitgebracht:
Sencha
Ein typischer Sencha von der Plantage der Familie Miura in der Präfektur Shizuoka südlich des Fuji-san. Leuchtend. Grasgrün. Mit frischen edelbitteren Noten.
Genmaicha
Unserem Sencha 'Miura 50/50' wurde vom Teemeister gerösteter Reis beigemengt und das Ergebnis ist eine vollmundige und gefällige Grünteevariation.