"Warum sich mit mittelmäßigen Qualitäten aufhalten, wenn man jetzt und hier das Beste haben kann." Auf gehts! Hamburg - Kopenhagen - Shanghai - Kunming: Das sind von Haustür zu Haustür gut 30 Stunden Anreise. Wenn man dann noch die Zeitverschiebung von sechs Stunden mitrechnet, sind schonmal zwei Tage weg. Bleiben noch knapp zwei Wochen für meine Tea-Scouting-Tour in Yunnan. Die chinesische Provinz liegt nördlich von Myanmar, Laos und Vietnam. Kunming gilt als die "Stadt des immerwährenden Frühlings". Es herrscht ein ausgesprochen angenehmes Klima. Das merkt man auch an den Menschen, die hier leben.
Vor vierzehn Jahren war ich das letzte Mal in Yunnan. Und sieben Jahre ist es her, dass ich zuletzt in China war. Damals war Tee schon ein großzügiges Thema für mich, auf meinen Reisen durch die Region Xinjiang im Nordwesten des Landes mit Städten wie Ürümqi und Kashgar sowie von Beijing über Chengdu und Chongqing nach Shanghai war ich trotzdem nur am Rande in Sachen Tee unterwegs. Nun also bin ich wieder hier, um auf den Spuren der 5000-jährigen Geschichte des Tees zu wandeln und zum ersten Mal eine Teeplantage zu besuchen. Unser Shop in Hamburg bleibt währenddessen geschlossen: Auch Stephan ist gerade in Südchina unterwegs, auf der Suche nach dem besten Longjing.
Für nächstes Jahr haben wir einen Kandidaten für die Kategorie Premium-Grüntee aus China: Stephan hat einen Longjing erjagt, von dem wir aber nur 2,5 Kilogramm mitnehmen durften. Der Rest der Ernte 2018 war quasi schon verkauft, bevor die Saison überhaupt begonnen hatte. Ab morgen ziehen Stephan und ich dann gemeinsam los.
Kunming ist der Hammer: In der Mitte der Stadt liegt der See Cuihu, um den sich alles herum abspielt. Hier sieht man wunderschöne Singvögel über den Gehweg hüpfen, findet ruhige Orte im Bambuswäldchen und beobachtet Schildkröten, die im Wasser schwimmen. Wie grün diese Stadt ist! Die Menschen machen an jeder Ecke Taiji und Massentangotanz. Jeder dritte Laden verkauft Tee, Keramik und Zubehör. Wir werden schnell fündig und haken schon an Tag Zwei das Thema Souvenirs ab – in Form von einigen schönen Teetassen.
Die beste Lamian, eine Nudelsuppe mit Rindfleisch und Koriander, gibt es an der Streetfoodmeile direkt um die Ecke unserer Unterkunft. Mit unseren Logistikpartnern in Kunming verbringen wir einen ausgesprochen abwechslungsreichen Tag: Von ihrem Büro im 23. Stock aus blicken wir über die Stadt, wir besuchen eine Teehändlerin in ihrem Qicha-Shop und sind nach einer Stunde Autofahrt in einer Teefabrik außerhalb der Stadt bei der Weiterverarbeitung und Verpackung dabei. Das Ganze immer mit mindestens einer Tasse Tee in der Hand: YueGuangBai, BaiMuDan, YinZhen, DianHong, Pu-Erh.
Zwischen Pu'er und Dali sind wir hauptsächlich in der Region um Lincang unterwegs, um uns mit Teebauern und Teeproduzenten zu treffen. "Unterwegs" bedeutet am Ende dieser Reise, dass mindestens jeder dritte Tag ein Tag in Taxi, Bus, Bahn oder Flugzeug ist. Wir fahren rund 550 Kilometer quer durch die Provinz – mit wunderbaren Bergaussichten, leckeren Snacks wie Baozi, Zongzi und Grillspießen auf die Hand.
Berge aus Tee
In Lincang machen wir einen informellen Teemarkt ausfindig, der in einem versteckten Hinterhof stattfindet. Eine freundliche Taxifahrerin hatte uns den Tipp gegeben. Hier kommen alle fünf Tage kleinste Teeproduzenten, Pflücker und Händler zusammen. Die angebotenen Mengen reichen vom 500-Gramm-Beutel bis hin zu 50-Kilogramm-Säcken. Es handelt sich dabei nahezu ausschließlich um die 2018er Ernte des hier üblichen Pu-Erh-Tee – ein zunächst quasi grüner Tee, der mittels verschiedener Methoden fermentiert wird und häufig als Lagertee gehandelt wird.
Einen Hinterhof weiter sind Berge an losem Tee aufgeschüttet, die ständig umgeschichtet, mit neuzugeschütteter Ware vermengt und anschließend in große Säcke versandfertig abgefüllt werden. Eine Frau kommt auf mich zu und bietet mir Weißen Tee von wilden Gewächsen an. Aufgrund des zu hohen Preises winke ich ab, verweise an Stephan und gehe weiter, um mich dann mit einer Einkäuferin fotografieren zu lassen, der noch das gemeinsame Foto mit einem "Laowai", also einem Ausländer, in ihrem digitalen Fotoalbum fehlt.
Als ich mich wieder umdrehe, verschwindet Stephan gerade im Durchgang zu einer kleinen Ladenund Lagerfläche. Ich folge ihm und treffe hier erneut auf die Frau mit dem Weißen Tee. Der Preis ist plötzlich kein 100-Gramm-Preis mehr, sondern ein Kilogrammpreis. Wir verbringen hier eine vergnügliche halbe Stunde, verkosten und schnacken. Am Ende haben wir die Adresse einer Plantage in der Nähe von Fengqing in der Tasche und eine aussagekräftige Probe des Yabao-Tees. Mission erfüllt für heute, dabei ist es noch nicht einmal 10 Uhr morgens.
Vier Brüder
Auf der Rückfahrt kann die Gastgeberin "leider" nicht ohne die Hilfe eines Freundes den Weg zum Hotel finden, und "zufällig" ist dieser Freund auch ein Teeproduzent. Zusammen mit seinen drei Brüdern, alle zwischen 25 und 35 Jahren alt, führt er die Teefirma als Familienbetrieb. Der Stopp an ihrer Arbeitsstätte wird uns mit Teegenuss versüßt.
Der jüngste Bruder nimmt uns mit seiner unaufdringlichen und freundlichen Art sofort ein. Nach einer kurzweiligen Verkostung inklusive theoretischer Einblicke in die Pu-Erh-Welt werden wir noch zum Abendessen eingeladen. Unser Versuch, hinterrücks die Rechnung zu begleichen, scheitert kläglich.
Nach dem Essen rösten wir noch gemeinsam Tee in holzgefeuerten Woks, die 300 °C heiß sind. Am Ende des Abends fallen wir zufrieden und völlig überwältigt von diesem ereignisreichen Tag in unsere Hotelbetten. Egal ob Zufall oder geschickt eingefädelt, die vier Brüder kennenzulernen war großartig.
Um 9 Uhr morgens werden wir von zwei der Brüder abgeholt und wir machen einen Abstecher nach BingDaoShan. Dort sehen wir 1.000 Jahre alte Teebäume und erfahren, dass hier die teuersten Pu-Erh-Tees der Welt produziert werden. Allein der circa 1.500 Jahre alte Teebaum, vor dem sich alle (auch wir) fotografieren lassen, hat in dieser Saison bereits Tee im Wert von 200.000 US-Dollar eingebracht.
Anschließend fahren wir in das Bergdorf, in dem unsere "Teejungs" aufgewachsen sind. Zum Mittagessen machen wir einen Zwischenstopp bei ihren Eltern: Das Essen wird am offenen Feuer im Wohnraum gekocht. Ein Motorrad steht neben dem Esstisch gleich hinter uns und ein Huhn läuft unbeeindruckt vorbei, während wir genüsslich speisen.
Im Geburtsort der Jungs auf circa 1.600 Metern angekommen, erfahren wir, dass hier hauptsächlich Rentner und Schulkinder leben. Die meisten anderen Bewohner sind in die nächstgrößeren Ortschaften oder Städte gezogen. Die ehemalige Teeverarbeitungs- und Produktionsstätte der Brüder und das ganze Dorf wirken antik – so, als wäre die Zeit stehengeblieben. Wir drehen eine Runde über die Plantage, die eher eine lose Ansammlung an Teepflanzen, oder viel mehr Teebäumen ist. Ich kann es mir nicht verkneifen, auf einen 800 Jahre alten Teebaum zu klettern.
Heute sitzen wir noch mit dem weiblichen Pendent zu den Teebrüdern für eine kurze Teesession zusammen: einer Crew, bestehend aus Schwestern und Cousinen aus BingDao. Dann nehmen wir den Bus in Richtung Fengqing. Die Fahrt dauert einen halben Tag. Dort werden wir von den Plantagenbetreibern abgeholt und fahren weitere zwei Stunden durch ein Tal, dessen Schönheit uns durch die bereits eingetretene Dunkelheit bis zur Rückfahrt in zwei Tagen verborgen bleiben wird.
Lecker, gekauft!
Nach dem Frühstück verkosten wir DianHong- und YaBao-Tee. Beide nehmen wir in unser Verkaufssortiment auf. Wir dürfen uns frei auf dem Gelände bewegen und schauen den Frauen und Männern bei ihrer Arbeit über die Schulter. Anschließend fahren wir höher in die Berge. Nach weiteren zwei Stunden Aufstieg zu Fuß finden wir uns zwischen hunderten wilden und sehr alten Teepflanzen wieder. Hier oben ist es unglaublich ruhig und der Blick in alle Himmelsrichtungen fantastisch.
Zhang Yu, die Plantagenbetreiberin, lädt uns am Abend zu gegrilltem Fisch ein und erneut erlebe ich, was für wunderbare und liebevolle Gastgeber Teemenschen sind.
Dali
Heute trennen sich die Wege von Stephan und mir. Er fliegt weiter nach Taiwan, um Jinxuan Wulong zu scouten. Ich ziehe weiter nach Dali. Die Reise dahin wird durch Staus, mehrfaches Umsteigen und eine Busdurchsuchung durch die Polizei, die nach aus Myanmar eingeschmuggelten Drogen sucht, bis in den Abend hinein verlängert.
Täglich findet in der Altstadt von Dali von 22 bis 0 Uhr ein Nachtmarkt statt. Ich treffe auf Abdullah aus Pakistan, der mit zwei Freunden seit einem Jahr hier lebt und aus der Heimat importierte handgefertigte Schatullen und Schalen aus Holz verkauft. Dali und die Menschen hier sind so überwältigend farbenfroh und schön.
Am nächsten Tag drehe ich wieder eine Runde durch die Altstadt, esse vegetarische Grillspieße und eine kleine Portion Liang Pi: kalte Reisnudeln mit Gurke, Knoblauch, Koriander, Sprossen, Chili, Sojasauce und Sesamöl.
Teemeisterin vs. Mad Professor
Anschließend treffe ich mich mit CC, Jason und deren Sohn Joseph. Ich kenne die beiden noch aus der Zeit, als ich ein Jahr lang in Shanghai gelebt habe. Sie war damals Chefredakteurin des Stadtmagazins CityWeekend und er übersetzte Marvel-Comics ins Chinesische. Wir haben uns mindestens zwölf Jahre lang nicht gesehen. Jason hat inzwischen ein Buch über Dali geschrieben und illustriert, CC hat unter anderem Kochbücher von Jamie Oliver ins Chinesische übersetzt und gibt aktuell Workshops für französische Backwaren.
Wir fahren zur Teemeisterin Tong Jia Zhang, die auf einem Grundstück der hiesigen Universität in einem kleinen Haus neben einer Teeplantage wohnt und arbeitet. Wir bekommen eine Privataudienz mit Verkostung von feinsten Pu-Erhs aus verschiedenen Jahrgängen getreu ihrem Motto: "Warum sich mit mittelmäßigen Qualitäten aufhalten, wenn man jetzt und hier das Beste haben kann." Nach gut drei Stunden Teesession spazieren wir beschwingt durch die Plantage und CC stellt ihr umfangreiches Wissen über die dort sprießenden Kräuter- und Heilpflanzen unter Beweis.
Am Nachmittag besuchen wir noch den "Mad Professor", einen Taiwaner, der früher als Ingenieur zur See gefahren ist und seit den 90er-Jahren in Dali Tee kultiviert. Sowohl relative junge Pflanzen aus Fujian mit kleineren Blättern als auch großblättrige alte Gewächse verarbeitet er zu grünem und schwarzem Tee sowie Pu-Erh.
Ich höre hier zum ersten Mal von Teeöl, das zum Kochen verwendet wird und von der Teepaste. Sie bleibt nach dem Pfannenrösten als dünne Schicht zurück und besteht aus den austretenden Säften der Teeblätter. Aus ihr werden beispielsweise Lutschpastillen gefertigt, die als sehr magendarmfreundlich und gesundheitsfördernd gelten.
Agrar- und Foodfestival
Heute ist der letzte Tag in Yunnan und gleichzeitig der Beginn des traditionellen Agrar- und Food-Festivals. Ich schaue dabei zu, wie die ortsansässige ethnische Minderheit der Bai tanzt und singt,kaufe getrocknetes Yakfleisch, sehe lebende Kamele und mehrere Dutzende getrocknete Kobras. Es herrscht Jahrmarktstimmung und ich begutachte Hörner, Felle und Penisse von allen möglichen hier lebenden Tierarten. Mein Weg führt vorbei an unzähligen Verkaufsständen, die sich der Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) verschrieben haben. Menschen aus ganz Yunnan, aus Sichuan, Qinghai und Xinjiang sowie aus Tibet, Indien, Nepal und Pakistan, sind in der Stadt. Schade, dass die Pferderennen erst morgen starten.
Am späten Nachmittag treffe ich CC und Joseph auf einem ehemaligen Gemüsemarktplatz, der heute als Austragungsort für ein Kulturfest der Off-Szene dient. Hier sind deutlich weniger Menschen und deutlich mehr Ausländer. Will heißen: Ich falle nicht mehr so sehr auf. Es gibt kleine Foodstände, Stände mit Kunsthandwerk und – als Reminiszenz an die frühere Nutzung des Geländes – einen Tomatenverkauf einer Minderheitenkooperative.
Ich sehe Akrobatikshows und eine Band trägt mit traditionellen Instrumenten und Synthesizern den passenden Soundtrack irgendwo zwischen Soul, Jazz, Pop und Rock bei. Währenddessen kocht eine Crew aus 15 bis 20 Personen Essen in riesigen Woks, die seit zwei Tagen auf selbstgebauten Öfen mit offenem Feuer stehen. Am Ende dieses Kochmarathons stehen auf rund 60 Tischen acht Gänge feinster Speisen bereit. Alles ist gratis: Bezahlt von einem Kulturforscher und -investor. Dali ist toll!
Meine diesjährige Teascouting-Tour geht zu Ende. Vor dem Rückflug von Shanghai aus verbringe ich noch drei Tage in Suzhou, wo ich bei einer chinesischen Hochzeit mitfeiere, das sehr gute Suzhou-Museum besuche und ein Glas Grüntee für über 80 Yuan, rund 10 Euro, trinke – Grandpastyle.
Jürgen
Wir haben euch diese Tees von unserer Reise mitgebracht:
Tips only
Astknospen vom wilden Gewächs - Akazienhonig, würzig-frisch und außerordentlich ergiebig. Nur eine Ernte je Saison!
One leaf one bud
Ein echter Dian Hong - genau wie er sein muss: Würzig-malzig, leichte Rauchnoten, Schokolade, Nüsse, Honig.